Menü

IAV

„Zusammen haben wir die Chance, die Zukunft der Auto­mobil­industrie zu definieren“

Die Automobilbranche durchläuft derzeit einen tiefgreifenden Wandel. Für die Zukunft des Autos können Open-Source-Communitys eine große Rolle spielen. Welche das genau sein könnte, schätzt Michael Plagge, Director Ecosystem Development bei der Eclipse Foundation Europe, ein.

Viktoria Hoffmann, April 2023

Michael Plagge ist seit Januar 2021 Director Ecosystem Development bei der Eclipse Foundation. Dort verantwortet er die Weiterentwicklung des Eclipse-Ökosystems, insbesondere in der DACH-Region. Bevor er zur Eclipse Foundation kam, war er vier Jahre lang in verschiedenen Positionen bei der Alibaba Group tätig. In den acht Jahren davor war Michael Plagge beim Automobilzulieferer Elektrobit angestellt, wo er von 2013 bis 2016 General Manager bei Elektrobit Automotive (Shanghai) Ltd. war.

Was macht die Eclipse Foundation?
Was ist ihr Ziel?

Michael Plagge: Die Eclipse Foundation ist ein Non-Profit-Verein, der sich über seine Mitglieder finanziert. Das Ziel der Eclipse Foundation ist, Unternehmen und Communitys eine Heimat zu bieten und unter einem gemeinnützigen Mantel Open-Source-Projekte zu realisieren. Es gibt sie schon seit 18 Jahren, wovon wir 16 Jahre in den USA registriert waren. Vor Kurzem sind wir allerdings nach Europa umgezogen, weil die Mehrzahl unserer Mitglieder aus Europa stammt und wir den Bedarf an einer großen Open Source Foundation hier gesehen haben.

Warum sind Open-Source-Projekte heute so wichtig?

Kollaborationen in der Entwicklung von Cloud- und AI-Technologien haben gezeigt, dass sie von Vorteil sein können, weil man damit im nicht wettbewerbsdifferenzierten Bereich schnell Reichweite erzielen kann. Sobald es eine gemeinsame Basis für alle Beteiligten gibt, lässt sich eine Technologie in breiten Bereichen wie z. B. der Automobilindustrie einsetzen. Dazu kommt, dass es heute sehr stark vertikalisierte Softwareentwicklungen und Toolchains gibt, die schwer vom einen zum anderen übertragbar sind.

Durch Kollaborationsplattformen wird es im nicht wettbewerbs-differenzierten Bereich möglich, sich auf die wertschöpfenden Teile der Softwarekette zu konzentrieren. Hier ein konkretes Beispiel: Bei TensorFlow oder pyTorch hat sich die ganze Softwarewelt darauf geeinigt, dass es für jeden zugängliche Frameworks gibt, auf deren Basis man an Algorithmen arbeiten kann, ohne vorher umfangreiche Frameworks implementieren zu müssen. So kann man sich auf den Bereich fokussieren, den man weiterentwickeln möchte.

Braucht die Auto­mobilindustrie mehr Open Source?

Software war in der Automobilindustrie in den letzten 30 Jahren sehr erfolgreich. Doch das, was an Softwarekompetenz im Bereich Safety im Automobilsektor aufgebaut wurde, ist mittlerweile ein Hygienefaktor geworden. Dagegen wurden Features, die Kunden heute dazu bringen, Autos zu kaufen, teilweise vernachlässigt.

Ich sehe hier zwei Herausforderungen: Erstens müssen die Features selbst entwickelt werden, wenn die Branche nicht auf Angebote von Google oder Apple zurückgreifen will. Die zweite Herausforderung ist, dass nicht genügend Entwickler:innen verfügbar sind, also müssen wir effektiver werden.

Deshalb wäre es sinnvoll, gemeinsame Plattformen zu bauen, die weit verbreitet sind, und Software, die überall gebraucht wird, wie z. B. Middleware, als Industrie gemeinsam zu entwickeln. Die wettbewerbs­differenzierten Teile könnten die einzelnen Unter­nehmen dann mit den zur Verfügung stehenden Ressourcen inhouse umsetzen.

Wie könnte die Zusammen­arbeit bei Open-Source-Projekten im Auto­mobil­sektor aussehen?

Die Automobilbranche ist dafür bekannt, sehr kompetitiv zu sein. Doch ein Modell wie Open Source und eine wettbewerbsneutrale Kollaborationsplattform können Zusammenarbeit auf Augenhöhe ermöglichen. Bei der Eclipse Foundation gibt es ein ausführlich beschriebenes Prozessmodell, das aufzeigt, wie die Zusammenarbeit stattfinden kann und Entscheidungen getroffen werden können. Vielen Unternehmen innerhalb einer Branche hilft das.

Was macht die Eclipse Foundation im Bereich Software­sicherheit?

Das Thema Software-Supply-Chain-Sicherheit ist uns wichtig. Open Source funktioniert zwar nicht anarchisch, ist aber ein Kollaborationsmodell, das auf Konsens und konstruktive Unterstützung setzt. Das hat zur Folge, dass Teilnehmer:innen mit „nicht immer wohlwollenden“ Absichten Einfluss nehmen können. Also müssen wir die Software Supply Chain schützen.

Der erste Schritt, der diesbezüglich diskutiert wird, ist die „Software Bill of Materials“ (SBOM). Das heißt, dass bei jeder Software bekannt ist, welche Komponenten final enthalten sind. Zur Erklärung: Open-Source-Komponenten bauen üblicherweise auf schon bestehende Open-Source-Komponenten auf. Das kann dazu führen, dass Sicherheitslücken unentdeckt bleiben, weil man nicht weiß, welche Komponenten im Detail in der Software stecken. Ein bekanntes Beispiel für eine solche Sicherheitslücke ist Java Log4j. Die Software war verwundbar und steckte in Millionen von Projekten. Das zeigt, weshalb wir mehr Transparenz brauchen.

Deshalb bietet die Eclipse Foundation weitere Mechanismen und Kompetenzen zum Thema Software-Supply-Chain-Sicher­heit an, um die finale Software so sicher wie möglich zu machen. Das ist gerade in der Automobilindustrie wichtig, da die europäische Gesetzgebung Anforderungen an die Sicherheit und die Cybersicherheit stellt.

Warum ist es für Unternehmen wie IAV sinnvoll, Kooperations­partner zu sein?

Ich glaube, dass wir zusammen die Chance haben, die Zukunft des Softwarestacks im Auto, in der Cloud und in der Toolchain in der Automobilindustrie zu definieren. Gerade für die Experten, also Firmen wie IAV, die in den Bereichen der Integration von bestimmten Softwarekomponenten schon hohe Kompetenzen haben, kann es sehr interessant sein, diese Kompetenzen einzubringen. Denn wer sich beteiligt, kann damit auch eigene Interessen verfolgen.

Durch die tiefgreifenden Veränderungen in der Automobilindus­trie im Bereich Software sind viele existierende Geschäfts­modelle gefährdet. Das, was die Community in der Eclipse SDV Working Group macht, wird aber in Zukunft die Basis für viele neue Geschäftsmodelle sein können.

In der traditionellen Automobilindustrie hat sich ein Overhead in der Komplexität bei der Softwareentwicklung eingeschlichen. Früher hatten alle Automobilhersteller die gleiche Komplexität, also gab es auch keinen Wettbewerbsdruck. Das hat sich geändert, nachdem neue Marktteilnehmer wie Tesla oder chinesische OEMs auf den Markt gekommen sind und gezeigt haben, dass Softwareentwicklung viel effizienter sein kann.

Die Frage ist, wie man mit dem Druck umgehen kann. Unsere Initiative ist eine Antwort darauf. Unternehmen wie IAV, die seit Jahrzehnten im Softwarebereich gut aufgestellt sind, können es als Chance sehen, um neue Geschäftsfelder zu erschließen und neue Geschäftsmodelle zu etablieren.

Was kann IAV denn konkret beitragen?

Ich würde mich sehr freuen, wenn IAV Softwarekomponenten einbringt, von denen sie glaubt, dass sie ein wertvoller Bestandteil eines zukünftigen Open-Source-Stacks sein können. Mindestens genauso interessant ist es für IAV, an einem der bestehenden Projekte mitzuwirken. Denn bisher haben wir zwar 15 Projekte, aber jedes davon kommt von einer einzigen Firma. Mittelfristig wollen wir, dass die Projekte breiter aufgestellt sind und darin Vertreter verschiedener Firmen zusammenarbeiten. Das hätte auch den Vorteil, dass der Austausch innerhalb der Projekte viel offener wäre und öfter nach außen kommuniziert würde.

Ich sehe Firmen wie IAV durchaus im Lead, über diese Projekte hinweg eine Distribution zu bauen. Denn letztlich wollen wir eine Lösung für einen Serienentwickler anbieten. Dieser Stack muss aus verschiedenen Projekten gebaut werden. Darüber hinaus könnte ich mir vorstellen, dass IAV auf Prozess- und Integrationsebene ihre langjährige Erfahrung im Bereich Automotive einbringen kann.

Unser Experte zum Thema

Andre Larberg
andre.larberg@iav.de

„Die Chance der Eclipse Foundation liegt darin, Synergien zu nutzen und die Softwarebranche zu demokratisieren. Im Bereich Automotive gibt es nicht genug Entwickler:innen, um die aktuellen Herausforderungen, z. B. im Bereich der Elektromobilität oder beim autonomen Fahren, zu stemmen.

Für IAV bedeutet die Mitgliedschaft zweierlei: Einerseits freuen wir uns auf den Input der Community, andererseits planen wir unsere Expertise einzubringen. Gerade im Bereich Fahrzeugsoftware und Tooling können wir die Mitglieder mit massivem Fachwissen unterstützen. Ich bin zuversichtlich, dass wir Softwarekomponenten einbringen können, die für die Community sehr nützlich sind, und freue mich auf die Treffen der Software Defined Vehicle Working Group.“ Andre Larberg